Ateliers für Alle

Dellbrügge & de Moll, 22. Juli 2011
http://schaetzchen.blogsport.de/2011/07/22/ateliers-fuer-alle/
Als müsse man nur eine Naht im sozialen Gewebe auftrennen, um dazuzugehören, zur Klasse der Sorglosen und Reichen, so ließen sich die Raumstrategien von Künstlern im Manhattan des ausgehenden 19. Jahrhunderts lesen. Genau auf der Grenze zwischen dem Habitat der Millionäre und wertlosem Brachland entlang Central Park West erwarben Künstler günstig Grundstücke und taten sich zusammen um zu bauen: Studio Buildings, Atelierhäuser – Wohnen, Arbeiten und Ausstellen unter einem Dach. Das hatte es bis dato nicht gegeben. Nicht einmal in Europa, wo der Berufsstand der Künstler viel anerkannter war. Der neue Gebäudetypus entsprach den Bedürfnissen der Künstler, repräsentierte sie als soziale Gruppe im urbanen Kontext und sorgte für Distinktion. Die Empfänge in den Studios zogen dann auch tatsächlich Vertreter der Klasse an, zu der man so dringend dazugehören wollte. Nicht nur der Bautypus, auch die ökonomische Organisationsform der Studio Buildings war eine Novität. Künstler gründeten Housing Cooperatives, Wohnungsgenossenschaften. In ihrem Buch „Maler und Millionäre“ analysiert Ulrike Frohne, wie die Künstler des ausgehenden 19. Jhds. auf dem Immobilienmarkt zu Akteuren wurden, Trends setzten und schließlich der Popularisierung der Studio Buildings, die auch jenseits von Künstlerkreisen immer fashionabler wurden, zum Opfer fielen. Die gehobene Mittelschicht, die die Studio-Apartments bei den Empfängen kennengelernt hatte, entwickelte einen solchen Appetit auf diese Art des Wohnens, dass zur Wende ins 20. Jahrhundert kaum ein Künstler die exorbitant gestiegenen Mietpreise noch bezahlen konnte. Hinzu kam, dass das Studio, Kern der Studio Buildings, das zweistöckig, mit großzügigen Fenstern, umlaufender Galerie und offenem Kamin konzipiert war, bald nur noch dem Namen nach existierte, als Label, das vom Ursprungsphänomen abgelöst sich nun an allerlei kommodifizierbaren Räume heften ließ. Im Immobilienteil der New York Times von 1920 schalteten Real Estate Companies Anzeigen wie diese: „You’ll find them fascinating – these new co-operative apartments in ‘The Artist Colony’ just off Central Park sparkling in their architectural beauty …“ Bei einer Erkundungstour weißer Flecken auf unserer Berliner Landkarte sprang uns ein Bauschild an der Rummelsburger Bucht ins Auge: „www.ArtistVillage.de“. War das die Lösung des Ateliernotstands in Berlin? Hatten Künstler rechtzeitig am ausgefransten Stadtrand investiert? An der Demarkationslinie zwischen Industrieruinen und Entwicklungsgebiet annonciert die Tafel schwarz-weiße Reihenhäuser in Wasserlage. Ein „Ateliergeschoss“ mit großzügiger Verglasung, dessen Höhe abhängig vom Geldbeutel zwischen 3,50m und 5,50m variiert, krönt zwei darunter gelegene Etagen. Loft-Living war 1990er, Atelierhaus ist jetzt. Für ca. 480.000 Euro pro Einheit ist die Siedlung komplett verkauft. Im Portefolio der Architekten Beyer Schubert heißt es: „Erklärtes Ziel ist die Verbindung von familienfreundlichem Wohnen und konzentriertem Arbeiten für freischaffende Künstler, Grafiker und Architekten in geeigneten Räumen an einem inspirierenden, citynahen Standort. Synergieeffekte zwischen den einzelnen Künstlern sind gewünscht, aber nicht planbar. Ob es zu halbjährlichen Atelier-Rundgängen und Kunstfesten kommt oder gelegentlich zu einer Vernissage geladen wird, hängt von den Wünschen der zukünftigen Bewohner und Nutzer ab.“ Vermutlich wird es nicht dazu kommen, denn unter den neuen Besitzern findet sich nur eine Künstlerin. Im gleichen Portefolio und in unmittelbarer Nachbarschaft zum „ArtistVillage“ sind im „Atelierhaus am Wasserturm Rummelsburg“ Maisonette-Ateliers zwischen 169.000 Euro und 199.000 Euro noch zu haben. Die Begriffskarrieren von „Studio Building“ oder „Artist Colony“ zeigen, dass die Appropriation von Vokabeln durch den Markt ein Indikator für soziale Verdrängungsprozesse ist. Die „ArtistVillage“ in der Rummelsburger Bucht weist darauf hin, dass die KünstlerInnen ihre Schuldigkeit als Image-Provider für die Stadt getan haben und durch marktförmige Substitute ersetzt werden. Artist Village – Worpswede assoziieren wir unwillkürlich und eine moorige Muffigkeit steigt in die Nase. Ein flüchtiger Blick ins Netz ergibt, dass die Vokabel bis an die Grenze der Korrumption durch bürgerliche Kunstvorstellungen popularisiert ist. Ihre Bedeutung oszilliert zwischen marktstrategischer Applikation durch Immobilienfirmen, die sich vom guten Namen ein gutes Geschäft versprechen und Orten, die aus dem Bedürfnis nach einer selbstbestimmten Gemeinschaft auf einem eigenen Territorium entstanden sind. Trotzdem würde man nicht unbedingt auf die Idee verfallen, die „High Desert Test Sites“, die Andrea Zittel gemeinsam mit anderen KünstlerInnen in der kalifornischen Wüste gegründet hat, auf eine Artist Colony zu reduzieren, oder „The Land“, das Rirkrit Tiravanija in Thailand mit ins Leben rief. Die Initiative in den postfordistischen Industrieruinen Detroits dagegen, für die Kunst keine Frage der Distinktion, sondern der Inklusion und des Überlebens geworden ist, bedient sich umstandslos der Wiedererkennbarkeit des Attributs. Und das chinesische Dafen, das vor 20 Jahren tatsächlich noch ein Künstler-Dorf war, hat sich zu einem Standort der Massen-Reproduktion von Gemälden ausgewachsen. Alteingesessene Artist Villages, deren Stiftungen Residencies und Fellowships organisieren, wie die MacDowell Colony, Noramerikas älteste Künstlerkolonie, haben in New Hampshires Wäldern überlebt und Kleinstädte kopieren das Konzept, um den Kulturtourismus anzukurbeln oder um aus der Not der Nachnutzung leerstehender Gebäude eine Tugend zu machen. Wo das nötige Eigenkapital, eine potente Stiftung, ein generöser Mäzen oder eine staatliche Förderung fehlt, gibt es Modelle der Selbstvermarktung mit B&B, Führungen, Kursen, Kreativcamps, wie in der Ein Hod Artists’ Village in Israel. Überall gilt das Authentizitätsversprechen: You’ll find them fascinating… Die Rolle von Künstlern als Akteuren im städtischen Kontext jenseits des Kampfs ums nackte Überleben, des Gerangels um Stipendien, Projektgelder oder Atelierförderung, hat nichts von seiner Attraktivität verloren. Letztes Jahr erhielt die Künstlergruppe KUNSTrePUBLIK e.V. im Rahmen des Programms Stadtumbau West den Zuschlag im Interessenbekundungsverfahren für das ehemalige Güterbahnhofdepot am Westhafen Berlin-Moabit. Den Umbau zum Zentrum für Kunst und Urbanistik, einem Labor für künstlerische und wissenschaftliche Forschung mit 12 Wohnateliers und Gemeinschaftsräumen wird mit 1 Million Euro Lottomitteln finanziert. Die Bauarbeiten starten im August. Lesetip: Ursula Frohne, Maler und Millionäre. Erfolg als Inszenierung: Der amerikanische Künstler seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert, Verlag der Kunst, Dresden 2000